23. Mai 2025 | Beschaffung & Einkauf
Maverick Buying verhindern - Strategien für mehr Kontrolle im Einkauf
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In vielen Unternehmen läuft der Einkauf heute noch nicht so strukturiert ab, wie es eigentlich sein sollte. Personen oder Abteilungen, die Güter oder Dienstleistungen für ihre Arbeit benötigen, bestellen oft an der Einkaufsabteilung vorbei. Sie wählen eigene Lieferanten aus oder greifen direkt zum Telefonhörer, ohne den festgelegten Beschaffungsprozess zu befolgen. Dieser Beschaffungsprozess legt fest, wie ein Einkauf vom Bedarf bis zur Bezahlung ablaufen soll. Was auf den ersten Blick pragmatisch wirkt, also als schnelle und einfache Lösung erscheint, hat einen Namen – und ernsthafte Auswirkungen: Maverick Buying.
Maverick Buying bezeichnet den Einkauf von Waren oder Dienstleistungen außerhalb der offiziellen Einkaufswege eines Unternehmens. Dies geschieht oft, weil Mitarbeiter versuchen, Prozesse zu umgehen oder vermeintlich bessere Angebote zu erhalten.
Was ist Maverick Buying?
Maverick Buying ist eine Art des Beschaffungsverhaltens, bei dem Mitarbeitende eigenmächtig außerhalb der festgelegten Einkaufsprozesse agieren. Sie bestellen Produkte oder Dienstleistungen, ohne die Einkaufsabteilung einzubeziehen, bestehende Rahmenverträge zu beachten oder offizielle Genehmigungswege zu nutzen. Oft geschieht dies informell, etwa durch direkte Bestellungen per E-Mail oder Telefon, und umgeht die etablierten Systeme und Zuständigkeiten. Typische Beispiele sind:
- Bestellungen bei Lieferanten, die nicht im System erfasst oder nicht autorisiert sind,
- Umgehung interner Freigabeprozesse,
- Beschaffung ohne dokumentierte Bedarfsmeldung,
- Individuelle Preisverhandlungen, die außerhalb der bestehenden Konditionen stattfinden.
Die Gründe für Maverick Buying liegen selten in böser Absicht oder Nachlässigkeit, vielmehr sind oft strukturelle Probleme der Auslöser. Unübersichtliche Systeme, schwer zugängliche Informationen, fehlende Kataloge, langwierige Genehmigungsabläufe und unklare Zuständigkeiten führen Mitarbeitende dazu, alternative Wege zu wählen.
Der Begriff „Maverick“ selbst kommt aus dem Englischen und beschreibt eine Person, die unabhängig handelt und sich nicht an Konventionen hält oder sogar strukturierte Abläufe meidet. Übertragen auf den Einkauf könnte man Maverick Buying als „wilden Einkauf“ verstehen – unkontrolliert, nicht zugeordnet und außerhalb der regulären Strukturen. Für Unternehmen stellt dieses Phänomen jedoch mehr als nur einen Bruch von Regeln dar. Es verringert die Transparenz, erschwert das Management von Einkaufsvolumen und Lieferantenbeziehungen, birgt Compliance-Risiken und schmälert die Möglichkeit systemgestützter Auswertungen – alles mit direkten Folgen für Kosten, Effizienz und Kontrolle.
Die Folgen: teuer, ineffizient, riskant
Maverick Buying betrifft nicht nur die Einkaufsabteilung, die Auswirkungen erstrecken sich über das gesamte Unternehmen. Wenn Bedarfe ohne das Einkaufswesen gedeckt werden, entstehen systemische Nachteile, die sich direkt auf Kosten, Transparenz, Qualität und Compliance auswirken.
Ohne zentrale Steuerung wird oft zu ungünstigen Konditionen eingekauft. Es fehlen Preisvergleiche, Mengenbündelungen und der Zugriff auf bestehende Rahmenverträge.
Beschaffungen außerhalb des Systems verursachen zusätzlichen Aufwand in nachgelagerten Bereichen: Der Wareneingang ist nicht informiert, die Buchhaltung erhält keine vollständigen Bestelldaten, die Rechnungsprüfung muss Rückfragen stellen, Lieferanten müssen manuell neu angelegt werden.
Je mehr abteilungsübergreifend „auf Zuruf“ beschafft wird, desto schwieriger wird es, verlässliche Aussagen zu Ausgaben, Lieferantenperformance oder Vertragsauslastung zu machen. Die Einkaufsabteilung hat keinen Überblick über das tatsächliche Einkaufsvolumen, Analysen und Bedarfsplanungen stützen sich auf unvollständige Daten und Potenziale zur Bündelung oder Optimierung werden nicht genutzt.
Einkäufe, die außerhalb des festgelegten Prozesses getätigt werden, entziehen sich der Kontrolle und verletzen damit die festgelegten Vergabe-, Freigabe- und Budgetrichtlinien. Das kann im Falle eines Audits problematisch werden. Im schlimmsten Fall können Schadensersatzforderungen, Garantieprobleme oder Schäden am Ruf entstehen, wenn bei fragwürdigen Lieferanten bestellt wird.
Maverick Buying führt zu einer Zersplitterung der Lieferantenbasis. Anstatt gezielt mit leistungsstarken und qualifizierten Partnern zusammenzuarbeiten, entstehen viele Einzelbeziehungen mit geringem Volumen. Außerdem gehen potenzielle Innovationen oder Effizienzvorteile durch etablierte Lieferantenbeziehungen verloren.
Maverick Buying identifizieren – mit den richtigen Kennzahlen
Eine gründliche Bestandsaufnahme ist der erste Schritt, um ineffiziente Beschaffungswege und mögliche Risiken zu erkennen. Dafür brauchen wir nicht nur ein gutes Bauchgefühl, sondern auch klare Kennzahlen und systemgestützte Auswertungen. Moderne ECM- und ERP-Systeme liefern uns die notwendigen Daten.
Um Maverick Buying besser zu verstehen, sollten wir uns zunächst die häufigsten Ausprägungen anschauen:
- Fachabteilungen kaufen direkt bei Anbietern, die sie selbst auswählen – ohne den Einkauf einzubeziehen oder die hinterlegten Lieferanten zu nutzen.
- Der Einkauf wird erst dann hinzugezogen, wenn bereits Entscheidungen getroffen oder Bestellungen ausgelöst wurden.
- Es wird zwar bei genehmigten Lieferanten bestellt, aber ohne die ausgehandelten Konditionen zu berücksichtigen.
Diese Grundformen lassen sich durch verschiedene Kennzahlen systematisch erfassen und geben wichtige Hinweise auf Schwachstellen im Beschaffungsprozess.
Maverick-Buying-Quote
Anteil der Bestellungen, die nicht über definierte Einkaufsprozesse laufen. Die Differenz zeigt uns, wie viel Volumen außerhalb des festgelegten Beschaffungsprozesses abgewickelt wurde.
Vertragsnutzungsquote
Anteil der Bestellungen, bei denen tatsächlich die hinterlegten Rahmenverträge oder Konditionen genutzt wurden. Eine niedrige Quote kann darauf hindeuten, dass bestehende Vereinbarungen systematisch umgangen oder ignoriert werden.
Preis-Compliance-Quote
Anteil der Bestellungen, bei denen nicht die vertraglich festgelegten Preise verwendet wurden. Das könnte auf Umgehungen oder veraltete Daten im System hinweisen.
Konditions-Compliance-Quote
Diese Kennzahl vergleicht die vereinbarten Vertragskonditionen mit den tatsächlich verwendeten Bestellkonditionen. Abweichungen können auf inkonsequente oder fehlerhafte Prozessnutzung hinweisen oder darauf, dass Kataloganbindungen fehlen.
Anteil Freitextpositionen
Ein hoher Anteil an Freitextpositionen deutet darauf hin, dass Anwender Artikel oder Dienstleistungen manuell eingeben, anstatt auf systemgestützte Kataloge oder Artikelstämme zurückzugreifen. Das führt zu Intransparenz, erschwert die Standardisierung und öffnet Tür und Tor für Maverick Buying.
Lieferantentreue
Wie hoch ist der Anteil der Bestellungen bei nicht autorisierten oder nicht im System angelegten Lieferanten? Eine geringe Lieferantentreue ist oft ein Zeichen für unkontrollierte Beschaffungsvorgänge.
Strategien zur Vermeidung von Maverick Buying
Maverick Buying lässt sich nicht einfach durch Richtlinien oder Erinnerungsmails verhindern. Was wirklich nötig ist, sind durchgängige Prozesse, digitale Werkzeuge und eine klare Rollenverteilung – alles eingebettet in eine Einkaufskultur, die Transparenz, Effizienz und Regelkonformität fördert. Das Ziel ist es, Prozesse zu schaffen, die Mitarbeitende nicht als Einschränkung, sondern als Unterstützung empfinden.
1. Digitale Bedarfsmeldung mit strukturierten Workflows
Ein zentraler Hebel zur Vermeidung von Maverick Buying ist eine digitale Bedarfsmeldung, die alle relevanten Schritte systematisch abbildet – von der Anforderung bis zur Genehmigung. Ein klar definierter Freigabeprozess mithilfe einer Procurement Software stellt sicher, dass alle Beteiligten zur richtigen Zeit eingebunden werden und der Einkauf frühzeitig in Entscheidungen einbezogen wird. Das erhöht die Prozesssicherheit und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeitende außerhalb des Systems eigene Initiativen ergreifen.
Vorteil: Transparenz ab dem ersten Schritt, automatisierte Genehmigungspflichten und dokumentierte Freigaben – alles nachvollziehbar und revisionssicher.
2. Integration von Lieferantenkatalogen
Anstatt auf Freitextbestellungen zurückzugreifen, sollten Mitarbeitende über digitale Lieferantenkataloge Zugang zu allen freigegebenen Artikeln und Dienstleistungen haben. Elektronische Kataloge ermöglichen eine intuitive Produktauswahl mit aktuellen Preisen, vereinbarten Konditionen und klar definierten Lieferantenbeziehungen.
Vorteil: Mitarbeitende sehen sofort, was bestellt werden darf, ohne den Einkauf zu umgehen oder eigene Wege zu suchen.
3. Vereinfachte Freigabeprozesse
Lange und unklare Genehmigungsverfahren können dazu führen, dass Leute versuchen, sie zu umgehen. Moderne Systeme bieten hier effiziente, rollenbasierte Freigabelogiken, die auch mobil genutzt werden können. Mit Regelungen für Vertreter, Eskalationsmechanismen und automatischen Erinnerungen lässt sich die Durchlaufzeit deutlich verkürzen.
Vorteil: Kein Umweg nötig – wer digital freigeben kann, spart Zeit und bleibt im Prozess.
4. Kommunikation, Schulung und Verantwortlichkeit
Technische Lösungen sind nur so gut wie die Menschen, die sie nutzen. Die Mitarbeitenden müssen verstehen, warum zentrale Einkaufsprozesse wichtig sind und wie sie diese in der Praxis effektiv anwenden können. Hier sind einige hilfreiche Ansätze:
- gezielte Schulungen (insbesondere beim Onboarding),
- leicht zugängliche Bestellvorlagen,
- klar definierte Ansprechpersonen in den Fachabteilungen.
Vorteil: Verständnis schafft Akzeptanz und verringert unbeabsichtigtes Maverick Buying.
5. Standardisierung mit Spielraum für Ausnahmen
Nicht jeder Bedarf lässt sich über Kataloge und Standardprozesse abdecken. Daher ist es wichtig, auch geregelte Ausnahmen im System zu berücksichtigen, zum Beispiel durch Freitextanforderungen mit Pflichtangaben und einem definierten Workflow. So bleibt man flexibel, ohne die Systematik zu verlieren.
Vorteil: Einzelbeschaffungen werden dokumentiert und sind steuerbar, anstatt informell organisiert.
6. Nutzung relevanter Kennzahlen und kontinuierliche Analyse
Wer Maverick Buying vermeiden möchte, muss es regelmäßig messen. Mit Kennzahlen wie der Maverick-Buying-Quote, der Vertragsnutzungsquote oder dem Anteil nicht autorisierter Lieferanten können Schwachstellen identifiziert und gezielt angegangen werden.
Vorteil: Datenbasierte Optimierung ersetzt Einzelmaßnahmen und macht Maverick Buying sichtbar und kontrollierbar.
7. Benutzerfreundliche Systeme: der Schlüssel zum Erfolg
Um Maverick Buying zu vermeiden, ist es entscheidend, einen Prozess zu schaffen, der einfacher ist als der Umweg. Nur wenn das Bestellen über das System intuitiv, schnell und zuverlässig funktioniert, wird es im Arbeitsalltag akzeptiert. Der Vorteil? Wer die Systemlösung als die schnellste und bequemste Option sieht, wird sie nutzen.
Fazit
Maverick Buying ist nicht nur ein lästiges operatives Problem, es ist ein strukturelles Dilemma, das die Transparenz, Effizienz und Steuerbarkeit im Einkauf gefährdet. Wenn Beschaffungsprozesse unkontrolliert ablaufen, führt das nicht nur zu überflüssigen Kosten, sondern auch zu ernsthaften Risiken in Bezug auf Compliance, Qualität und das Management von Lieferanten.
Die gute Nachricht ist: Mit den richtigen Maßnahmen kann Maverick Buying effektiv eingedämmt werden. Digitale Bedarfsmeldungen, integrierte Kataloglösungen, klare Freigabestrukturen und eine konsequente Kommunikation bilden die Basis für einen starken, regelkonformen und benutzerfreundlichen Beschaffungsprozess. Es ist entscheidend, dass Systeme und Prozesse so gestaltet sind, dass sie akzeptiert werden und nicht umgangen werden müssen.
Wer den Einkauf als strategischen Werttreiber positionieren möchte, kommt nicht umhin, Maverick Buying konsequent zu vermeiden. Transparente Prozesse, verlässliche Daten und durchgängige Systemunterstützung sind dabei unerlässlich.
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